Reisetagebuch
Nachrichten aus der weiten Welt
|
Teil 1: Unterwegs auf der Roald Amundsen
16.09.2010 - 04.10.2010
|
Teil 2 >> |
16.09.2010, London Heathrow: Die Reise beginnt
[Karte]
Ich bin nun in London angekommen und fange gerade an zu begreifen, was ich da eigentlich mache.
Vor einem Monate hatte ich noch einen Job.
Vor einer Woche hatte ich noch eine Wohung.
Vor einem Tag hatte ich noch ein Auto.
Innerhalb kürzester Zeit habe ich aufgegeben, wofür manche andere leben. Nach einem bisher recht getradlinigen Leben geht es für die nächsten Wochen in eine ganz andere, noch unbekannte Richtung.
Doch als ich den Terminal 5 des Flughafens London Heathrow betrete, mache ich mir darüber keine Gedanken mehr. Ich bin mitten drin im Gewühl der Menschen, ich vergesse sowohl die verlorene Vergangenheit als auch die ungewisse Zukunft. Das erste Mal freue ich mich tatsächlich aus meinem Innersten heraus auf die Reise. Zumindest für einen kurzen Moment.
Ich erinnere mich wieder an den Text eines Songs des Musikers Thomas D. Normalerweise zwar nicht so meine Musikrichtung, aber in diesem Fall passt es irgendwie:
Thomas D ist auf der Reise und hat Rückenwind
Auch eine weitere Zeile aus dem Text passt, und zwar auf dieses Reisetagebuch:
Wir betreten neue Wege die wir noch nicht hatten
Ich nehm euch mit 'n Stück in meinem Windschatten

18.09.2010: Montreal
[Karte]
Inzwischen bin ich schon den zweiten Tag in Montreal. Die Anreise hat soweit perfekt geklappt, alle Flüge waren pünktlich und das Bed & Breakfast habe ich auch auf Anhieb gefunden, trotz des langen Tages (ich kam 4:30 Uhr mitteleuropäische Zeit an) und Regen. Bereits auf dem Flug konnte ich einen ersten Blick auf den St.Lorenz-Strom werfen, auf dem ich demnächst unterwegs sein werde.
Am ersten Tag bin ich mit R, die ebenfalls auf der Roald Amundsen mitsegelt und schon einen Tag früher als ich hier war, durch die Stadt gewandert. Dabei hatte ich meine erste Begegnung mit der Roald, die gerade an diesem Morgen angekommen war. Zusammen mit 4 weiteren "Tall Ships" (darunter auch ein Nachbau der berühmten HMS Bounty) lag sie im Hafen. So recht konnte ich mir immer noch nicht vorstellen, dass ich in wenigen Tagen selbst die Masten hochklettern würde. Erst recht nicht, als ich sah, wie 2 Mann gerade dabei waren, in schwindelnder Höhe das Sege zu flicken.

Für die nächsten zwei Wochen wird es an dieser Stelle keine Meldungen geben. Auf der Webseite der Roald Amundsen gibt es aber Tagesmeldungen, wo über den Verlauf der Reise informiert wird:
Tagesmeldungen der Roald Amundsen
Ich melde mich dann wieder Anfang Oktober aus Halifax.

20/21.09.2010, Montreal: auf der Roald Amundsen
Dies sind meine ersten Tage auf der Roald. Das Auslaufen verzögert sich noch wegen Formalitäten, die zu klären sind. Am ersten Tag helfe ich dabei, das Schff zu entrosten und geniesse noch etwas die Skyline von Montreal, die besonders Abends recht imposant wirkt.
Am zweiten Tag geht es das erste Mal ins Rigg. Eigentlich nur zur Übung, aber als wir schon mal oben sind, packen wir auch gleich die Segel von Royal, Bram und Obermars ein (das sind die obersten 3 Rahen). Einpacken bedeutet, die Segel schön zusammenbinden. Einholen kann man die Segel auch von Deck, die Segel sind dann aber nur "aufgegeit".

22.09.2010, auf dem St. Lorenz Strom
Wir sind endlich unterwegs und fahren zunächsat unter Motor, später mit Segel-Unterstützung, den St.-Lorenz Strom hinunter. Vorbei an Quebec, und durch ein paar interessante Brücken hindurch. In das Wachsystem kommt man relativ schnell hinein. Irgendwie erscheinen bald alle Tage gleich, und trotzdem ist keiner wie der andere. Man merkt auch, dass wir nach Norden fahren, es wird von Tag zu Tag kälter. Ich friere bei meiner Wache von 20 bis 0 Uhr sogar durch meine 6 Kleidungsschichten hindurch.

26.09.2010, Îles-de-la-Madeleine
[Karte]
Im Golf von St. Lorenz laufen wir die kleine Inselgruppe der Îles-de-la-Madeleine an und bleiben dort für eine Nacht. Viel zu sehen gibt es nicht, trotzdem ist es einen Besuch wert. Bei einem Spaziergang an der Küste sehe ich eine Bank mit Blick aufs Meer, ideal, um ein wenig Ruhe zu finden vom täglichen Betrieb auf dem Schiff.
Nach dem Ablegen werden wieder Segel gesetzt, u.a. der komplette Fockmast. Nach gut einer Stunde Arbeit ist das Deck voller Geitaue, Gordinge, Schoten, Brassen und wie sie alle heissen. Nachdem klar Deck gemacht wurde, nutze ich die Gelegenheit und mache kurz vor Sonnenuntergang ein paar Bilder vom Klüverbaum aus, dem vordersten Punkt auf dem Schiff.

30.09.2010, Lunenburg
Gestern haben wir in Lunenburg angelegt, ein kleines Städtchen südlich von Halifax. Da wir gut in der Zeit liegen, haben wir uns diesen Abstecher erlaubt. Die Stadt ist Weltkulturerbe und wirklich sehenswert. Den besten Blick hat man vom Fockmast aus, den ich für ein paar Bilder extra besteige.

01.10.2010, Unterwegs nach Halifax
Der Nebel, der sich letzten Abend beim Ablegen über Lunenberg gelegt hat, ist nun verschwunden und wir haben einen wunderbaren Sonnenaufgang. Dass ich 1 Stunde vor meiner Wache aufgestanden bin zahlt sich gleich doppelt aus: es werden Delfine gesichtet, die dann auch eine ganze Weile in unserer Bugwelle spielen. Teilweise springen sie zu dritt oder zu viert gleichzeitig aus dem Wasser, während am Horizont die Sonne aufgeht.
Die letzten Meilen nach Halifax haben wir perfekten Wind, um nochmal fast alle Segel zu setzen. Unter strahlend blauem Himmel fahren wir so Halifax entgegen, wo wir am Abend ankommen. Nach 1101 Seemeilen neigt sich nun der Törn dem Ende entgegen.
